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Raffael Benazzi

Unter seinen Lehrmeistern hat besonders Arnold D'Altri Einfluss auf Benazzi, der schon mit 18 Jahren als freischaffender Künstler seine Ideale zu verwirklichen sucht.

Er unterteilt sein bisheriges Schaffen in drei Gestaltgruppen, innerhalb derer jeweils eine unbeschränkte Bandbreite an Themen möglich ist: Mit Samen bezeichnet Benazzi die organischen, quellenden Formen, die sein gesamtes Werk begleiten. Die zweite zentrale und phasenweise weiterentwickelte Grundstruktur ist das (Seelen-)Haus, dessen erste schachtelartige Vorformen bereits 1960 auftauchen. Und als drittes oft abgewandeltes Formprinzip beschäftigt ihn der Coat, der Mantel, der Gefährdetes, Verletzliches birgt und schützt.

Am Beginn von Benazzis Entwicklung stehen in der ersten Hälfte der 50er Jahre figurative Holzskulpturen, deren formale Verhaltenheit ihnen zunehmend Charakterzüge von Torsi und Idolen verleiht. In dieser, erotische Geheimnisse umschliessenden stilisierten Gestalt ist früh schon erkennbar, dass das Prinzip der Weiblichkeit Benazzi stark beschäftigt.

Entscheidende Bedeutung erhält die Auseinandersetzung mit Constantin Brancusi und dessen eiförmigen Plastiken. Im Bewusstsein, dass, wer wissen will, was eine Form enthält, die Schale zerbrechen müsse, öffnet Benazzi im Gegensatz zu Brancusi die perfekte Eiform: Er leitet aus ihr Buchtungen ab, formt Delle und Nut aus ihr heraus. In vielfältiger Abwandlung hat er diese Eiform in Holz nachgebildet, bis sich Alabaster als der reinste Stoff angeboten hat. Die Schale wird zur spiegelnden Haut.

Die Platzverhältnisse in San Vincenzo ermöglichen Arbeiten in grösserem Format. Stämme können ihre eigenen Proportionen wahren, sie beginnen aufzuklaffen und ein verletzbares Inneres preiszugeben. Diese Formbildung findet ihre Krönung in den Coats der New Yorker Serie zwischen 1979 und 1986. Als habe sich die Rinde des Stammes zur schützenden Schale verstärkt, umhüllt sie nun Binnenformen, die ihrerseits wieder Anklänge wecken an die frühen organischen Formen der Samen.

Der zweite ganz wichtige Einschnitt ist – während des Aufenthaltes in San Francisco – der Schock der Begegnung mit der Minimal und der Concept Art. Benazzi, der mit seinem Schaffen bislang fast hymnisch die sinnliche Kreatürlichkeit gepriesen hat, sieht sich nun mit einer Intellektualität konfrontiert, die in der Reduktion des Planes bereits das ganze Werk zu versinnbildlichen verspricht. Solch provozierende Einfachheit weckt in Benazzi die Besinnung auf jenes Elementare, das selbst organischem Wuchern ein rationales Ordnungssystem unterlegt. Auf diese Weise erhält sein Hang zum Kreatürlichen eine neue Bedachtsamkeit, eine kontrollierende Kraft legt sich über seine Formen, die den Ausgleich zwischen ordnender Gedankenwelt und aufquellender Sinnlichkeit schafft.

 

 

Peter K. Wehrli